Annette Reichardt und Stewens Ragone
Gemeinschaftsbilder
IM UNERNST EINIG
Annette Reichardt & Stewens Ragone – one man band – in der Galerie vorn und oben, Eupen
Annette Reichardt & Stewens Ragone malen seit 2005 ihre Bilder zusammen, sind aber schon vorher eigenständige malerische Wege gegangen. Man argwöhnt schnell, dass von zwei Künstlern einer dominiert oder dirigiert und ein Machtkampf um jeden Pinselstrich entbrennt. Das ist nicht der Fall. Auch durch vier Hände kann Malerei aus einer Hand entstehen. Zuarbeit und Zusammenarbeit ist im Film (Nennungen im Abspann) oder bei Musikgruppen völlig selbstverständlich und auch in der Kunst (Rubens, Rembrandt und Künstlerpaare) lange geübt, aber nicht gewöhnlich. Im Prozess des Malens, den sonst Einzelne vollziehen, klären sich Farben, Setzungen, Löschungen, Einfügungen und muss Sprungmut und Freiheit im Kopf entwickelt werden, um notwendig radikal zu neuen Bildern und spannenden Lösungen zu kommen, die weiterbringen, u.a., weil man Fehler und Zufälle als Möglichkeiten und Präzisierungen einschätzt und dabei Neues findet. Erfahrung führt nämlich zunehmend zu ähnlichen Lösungswegen. Das verhindert ein Malpartner, der aus seiner Erfahrung zu anderen Farben, Formgebungen, Eingriffen, Spannungen und Harmonisierungen neigt. Zwei verbessern gemeinsam mehr an einem Bild, als einer für sich. Dafür ist Kommunikation, Vertrauen und Toleranz unbedingt nötig und gemeinsames Generationsempfinden hilfreich, damit diese symbiotische Spannung bestehen kann. Geschlechterdominanz ist in der Generation der Anfang der 1960er geborenen Künstler auch nicht mehr gegeben, die zudem die Themenwelt ihrer Bilder aus den 30er–70er Jahren und frühe Fernseherfahrungen aus dem Eigen- und Elternleben kennt und zwischen Apo und Punk, Monthy Python und Blödelbarden, kaltem Krieg und Bürgerbewegungen unverbissen einen eigenen humorvoll kritischen, aber unideologischen Weg begonnen hat. Die Duldsamkeit gegenüber dem Malpartner verbindet sich mit einer Unduldsamkeit gegenüber der Realität. Die Bildwelt von Reichardt und Ragone streift Klischees, hat gallige Qualitäten, befasst sich mit der täglichen Absurdität des Bildhaften, der Gleichzeitigkeit von allem, von Cyberspace, Maskottchen, Touristentrash und Gartenzwerg. Bis zur Niedlichkeitsapotheose karikieren sie die gewollte Natürlichkeit von posendem Verhalten oder Gefühlsduselei und brechen die Erwartungen an Inhalte von Kunst, in der solcherlei Elemente nicht alltäglich sind, wie jedoch in Wirklichkeit, wo wir auch unsere Kinder gemütsmäßig mit den seltsamsten Wesen konfrontieren. Mancher Betrachter bevorzugt eine saubere Trennung von Ernst und Unernst, von Geklärtem und Ungeklärtem. Dass in den Bildern von Reichardt und Ragone beides gleichzeitig auftaucht, zeigt ihre Offenheit für eine Welt, in der Widersprüchlichkeit der Normalzustand ist. Insofern ist das höchst zeitgemäß, verweist auf ein selten bearbeitetes Stück Wirklichkeit und macht auch noch Spaß. Darf Kunst witzig sein oder unterläuft das den Anspruch an Ewigkeit und Bedeutsamkeit? Das muss eben kein Widerspruch sein und auch nicht flüchtig, schließlich gibt es klassische Karikaturen. Dennoch ist diese Leichtigkeit noch immer eine Provokation, die nicht in der abgesegneten, wenn auch unerwünschten Tradition von kritischem Bewusstsein steht. Leicht ist diese Art von Malerei allerdings nicht, denn sie ist malerisch und handwerklich auf hohem Niveau; wie heute üblich, irgendwo zwischen Abstraktion und Figuration. Zunächst bearbeiten beide die Hintergründe, mal zusammen, mal alleine, nicht als Arbeitsteilung von Vorder- und Hintergrund. Die informell abstrakten Hintergründe verarbeiten alle Formwelten und Floskeln der Moderne und der Abstraktion, haben eher gelegentlich einen bühnenhaften oder landschaftlichen Raumaufbau, ähneln aber nicht Surrealem (Dalis Stränden oder Ernsts Gebirgshorizonten). Die Untergründe sollen farblich und formal für sich interessant genug sein und Bestand haben können. Alsdann werden aus einem Fundus passende Bildelemente gesucht und farblich und in der Größe an die Leinwandgegebenheiten angepasst und nicht nur eins zu eins collagierend übernommen. Der Fundus enthält nostalgisch wirkende Bilder (der 30–70er Jahre) aus Presse, Film und Fernsehen, die vorausgewählt unter 1 % der gesichteten Materialien bleiben. Natürlich gibt es auch Rückwirkungen mit dem Hintergrund, der durchaus eine eigene Raumtiefe für sich in Anspruch nimmt und doch wie eine Folie nicht organisch mit den Figurationen verbunden ist. Leicht magrittig lebt auch diese Malerei vom Widerspruch der Formen, vom Schalk der Pseudonatürlichkeit, vom Bild- und Titelwitz, vom gut gemachten Befremden, von heiterer Bedeutsamkeitsvernichtung zu Gunsten des Malerischen.
Dirk Tölke (Kunsthistoriker/Aachen)
Die Welt kann so einfach sein
Bilder, die man versteht sind in der Regel nicht ganz so gut. Sie heißen: Weltuntergang oder Tsunami und man sieht einen Weltuntergang oder einen Tsunami. Hab ich verstanden, denke ich gelangweilt und frage mich, warum Künstler denken, sie könnten mir die Welt erklären, wo ich sie doch bin und sind es letzten Endes auch keine Künstler, die das tun, auch wenn sie das glauben und sich verkannt fühlen, wo man sie gar nicht verkennen kann, wenn sie Tsunami neben das Bild schreiben. Lesen können wir alle. Ich denke an zwei Künstler, die zusammen arbeiten, was sie früher nicht taten. Nachdem ich die frühere Phase kannte, dachte ich natürlich sofort, ich erkenne sie in den Bildern wieder, der malerische Hintergrund oder das konkrete Motiv - Ragone dachte ich, aber Reichardt lächelt. Ganz so einfach war es eben doch nicht. Wo man gerade dachte, es handle sich um sehr einfache Bilder, wo man die Motive erkennen konnte, ganz leicht und dass das ja überhaupt die besten Bilder waren, bei denen man dachte: einfach und nur die Seltsamen denken: Das kann meine kleine Tochter auch. Man dachte: einfach, ein Mann mit einem Gänseblümchenbart. Die Seltsamen denken: Na und?
Dieses Bild hatte es mir besonders angetan: Ein Hipster mit Sonnenbrille und Gänseblümchenbart. Ich selbst habe einmal Gertrude Stein mit Hipsterbart gemalt, auch schön, aber die Gänseblümchen sind besser. Schade, dachte ich, dass mir damals die Blümchen nicht einfielen, und warum dachte ich, fallen sie einem Typen, wie Stewens ein, denn man äußerlich nie mit diesem unsinnigen Motiv in Verbindung brächte, der etwas Seriöses ausstrahlt, ein Mann mit einem Beruf, ein Mann mit einer Aufgabe und nicht ein Mann mit Blümchen im Kopf, und ach, dachte ich, sind sie am Ende gar nicht von Stewens sondern von Annette, die aber auch nicht nach Blümchen und Donalds mit Schubkarren aussieht. Aber wie sieht sie aus? Die Welt: Ein Rätsel. Zwei Künstler, dachte ich und schön, dass es so etwas noch gibt. Ich werde Tsunami neben sie schreiben. Der Witz an den einfachen Bildern ist jedenfalls die Tatsache, dass jeder meint, sie malen zu können: Die Ente, die draußen bleiben muss, ein Strickpüppchen in einer marsartigen Landschaft oder einfach ein Kind, das auf einem Krokodil reitet. Kann ich auch, rufen die Seltsamen, nur wir schütteln den Kopf. Es ist ja ohnehin seltsam, dass Menschen meinen, das zu können, was sie im Grunde verachten. Nie kämen sie auf die Idee, Rembrandt malen zu können, Vermeer oder van Gogh. Sie können immer nur das, was ihnen einfach und zu können überhaupt nicht erstrebenswert erscheint. Viel lieber könnten sie Friedrich und könnten doch nur Ragone oder Reichardt, denken sie, und liegen damit richtig daneben. Ich betrachte weiter den Hipster mit seinem Gänseblümchenbart und habe nicht die leiseste Ahnung, wer von beiden was von vielem gemalt hat. Ich betrachte das Bild und sehe nichts anderes. Schön ist es, wenn sich das Ego auflöst, als habe das Bild sich selbst gemalt. Schön ist es, wenn ich nicht weiß wer und warum wer das Warum gemalt hat. Es wäre langweilig es zu wissen. Kein Mensch versteht, warum ein Kind auf einem Krokodil reitet. Der Titel hilft nicht, und auch wenn man denkt Titel helfen, helfen sie bei den guten Bildern nie. Friedrich nannte sein Bild Dresden und hat es doch nicht gemalt. Erst mal seh`n was Quelle hat, heißt ein Bild aus der rheinländischen Malmanufaktur, und ich ahne, dass die Frau mit dem Fernglas den Horizont nicht nach verschollenen Kaufhäusern absucht. Schöne Bilder sind schwierig. Schöne Bilder sehen einfach aus. Schöne Bilder täuschen. Schönheit verwirrt und das Schöne daran ist das Schöne darin. Die Welt kann so einfach sein, denke ich, und ist es nie.
Ina Bruchlos (Malerin und Schriftstellerin/Hamburg)
Der Mitmaler
Heute ist es mir wieder passiert: Ich stehe in der Schlange im Supermarkt und gucke desinteressiert durch die Gegend. Mein Blick bleibt an einer Knorr- Fertigsuppenpackung hängen. Frau, 50er-Jahre-Look, strahlendes Grinsen - die kenne ich. Ich will die Tüte kaufen und an Stewens und Annette schicken, als Vorlage für ihre Bildwelt. Dann entscheide ich mich aber dagegen. Ich muss mich ja nicht auch noch ständig mit den Bildern anderer Maler befassen. Aber tatsächlich hatte ich es schon gemacht. Bei der Sichtung von Material fiel mir ein Kalender mit Motiven aus den 60er Jahren in die Hände, den habe ich sofort eingepackt und weggeschickt.
Es gibt ab und zu Maler bei denen sich Freunde und meist auch Kollegen zu Motivsammlern und Mitdenkern entwickeln. Da könnte man denken, dass die sich doch um ihr eigenes Werk kümmern sollten und nicht noch die Bilder der anderen mitmalen müssen. Sie kommen mit Schnipseln und Kompositionsideen und sagen: „Mach das doch mal so oder so ...“. Oft ist das ein bestimmter Typ Mensch, aber dieses Phänomen wird auch durch ein besonderes Werk ausgelöst – so wie das Werk von Annette und Stewens. Was kann einen Maler mehr erfreuen, als dass seine Bilder Anteilnahme auslösen. Die anderen sollen ja berührt werden. Und was ist es anderes als Berührtsein, wenn ein Kollege die Bilder oder das gesamte Werk weiterdenkt und sogar daran mitarbeiten will. Der Betrachter wird Teil dieses Kosmos, und das liegt meiner Meinung nach an zwei Kriterien: Erstens die Größe und Vielfalt der Sujets und zweitens die besondere Herangehensweise des Malerteams. Cowboys, Vögel, Autos, Personen des öffentlichen Lebens, sogar Walter Ulbricht und die Künstler selbst, bei den Motiven gibt es keine Grenzen. Es kann alles auftauchen, man ist nicht sicher vor der Ideenfülle. Selbst die eigenen Kollegen kommen als Protagonisten vor. Die Motive sind aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und in eine Welt aus Farbschlieren und anderen malerische Erfindungen transformiert. (Da stelle ich mir sofort wieder ein Bildmotiv vor: Das Enterprise-Team wird in eine Welt von Farben gebeamt). Das ist der erste Schritt zur aktiven Teilnahme des Betrachters. Er wird dazu erzogen, sich alles vorstellen zu können und auch über sich herauszuwachsen. Schließlich kann man auch mal einen Krokodilhut aufhaben. Skurriles wird in diesem Kosmos zum Alltäglichen. Der zweite Schritt ist das Label fifty-fifty selbst. Auf den ersten Blick wirkt die Entscheidung, zusammen Bilder zu malen wie ein Konzept, ähnlich wie die großen Malerwerkstätten der Renaissance, wo jeder das malte, was er am besten konnte und der Meister nur delegierte und entwarf. Doch hier malen zwei gleichberechtigte Personen an einem Bild. Zwei gleichwertige Maler!
Um heute Bilder interessant zu machen, muss man Zufälle zulassen, muss künstlich einen Mehrwert erschaffen. Ein einzelner Maler muss sich selber stören und immer wieder hinterfragen und neu erschaffen. Fifty-fifty machen diesen Schritt konsequent immer. Der eine malt das, der andere das, und es passt nicht zusammen. Darauf muss reagiert, weggemalt, verbessert, umgedacht werden. Wer die beiden kennt, weiß auch, dass die Motivwelt und der Bildwitz absolut authentisch sind. Es wirkt nicht gauklerisch sondern echt. Das alles führt zu dieser erfrischenden Offenheit, die mich auch im Supermarkt an die Bilder von Annette Reichardt und Stewens Ragone denken lässt. Was will man mehr?
Marc Taschowsky (Maler/Berlin)
Ohne wenn und aber
Wenn zwei sich reiben, freut sich ein Dritter. In diesem Fall ist es der Betrachter eines Werkes von Annette Reichardt und Stewens Ragone. Betrachtet man das Bild ,,Der Kampf geht weiter“, auf dem sich ein Knabe vor einer gestischen Farbschliere einen Faustkampf mit einem Schäferhund liefert, kann man sich in etwa vorstellen wie die künstlerische Arbeit des Malerduos vonstatten geht. Man denkt sich den Malprozess als eine Art sportlichen Sparringskampf. Und bei Ragone und Reichardt wird kompromisslos ausgeteilt und malerisch in die Mangel genommen. Die Entstehung eines Bildes als solche ist generell immer als ein Ringen um Form und Farbe zu begreifen. Bei 50/50 folgt im malerischen Entstehungsprozess auf eine Aktion des einen immer eine Reaktion des anderen und so entstehen am Ende Bilder, die ein Kopf allein nie hätte ersinnen können.
Schwergewichtig treffen Abstraktion und Figuration aufeinander. Die auf den ersten Blick manchmal freundlich bis kitschig wirkenden Motive sind dabei nur Tarnung. Im Deckmantel der Niedlichkeit oder Sympathie schleicht sich das Motiv heran und kracht dann auf gestisch wilde Abstraktion. Es geht um den Widerspruch zwischen dem was man inhaltlich zu kennen meint und dem was man nach der Umsetzung in die Malerei kriegt. So wie etwa bei dem Bild ,,Ruhe vor dem Sturm“, in dem ein Baby auf flauschigen Teppich vor braun – rosa Farbgewitter für Verwirrung sorgt.
Das Ziel von Annette Reichardt und Stewens Ragone ist die Erschaffung von knallharten Gegensätzen. Es geht einerseits um die Reibung zwischen Abstraktem und Gegenständlichem und andererseits um die Verfremdung von vertrauten Bildinformationen. Am Ende entstehen Bilder in denen zwei vordergründig gegenläufige malerische Konzeptionen miteinander verzahnt werden und die den Bildrezipienten zur Auseinandersetzung herausfordern. Und so darf man als Betrachter bei 50/50 auch immer wieder auf neue, unerwartete Bilder gespannt sein. Der Kampf geht weiter, verehrtes Publikum, ohne Kompromisse und ohne wenn und aber!
Paul Pretzer (Maler/Berlin)
Fifty-Fifty
Was macht der Colli mit den Büchern im Maul in „Wie man sich bettet so liest man“? Er bringt mir den Stoff meiner Träume. Ich träume von den Menschen.
Bei den Menschen erzählen uns die einen kraftstrotzend und voller Stolz ihre Geschichte und dann kippen sie sich aus vor Lachen über die anderen. Die anderen lächeln in sich hinein über die vermeintlich so selbstsicheren Vorzeigekandidaten unserer Gesellschaft und ihre jämmerlich dummen Klischees. In stiller Gemeinheit stellen sie sich gerade noch rechtzeitig in den sicheren Schatten der Ironie; sie unterminieren den heroischen Ausdruck unserer Pappkameraden.
Bei Fifty-Fifty kommt die übertrieben prächtige Pose im abgegriffenen Spiegel vor,
aber auch der maliziöse und falsche Gesichtsausdruck des kleinen Teilnehmers. Die hohlen Formeln modernen Lebens werden süffisant in den Titeln zitiert. Immer wieder heischt aber etwa der neckische Puppenjunge „Stolz wie Oskar“, oder das niedliche „Karibische Nussmäuschen“ auch um echte Anteilnahme. Der Blick des unbefangenen Geschöpfes, zumal der Kinder, lädt uns ein. Hat das Mädchen in „Harmoniefalle 2“ doch grundehrlich ein freundliches Lächeln auf den Lippen ?
Sind bei Fifty-Fifty die Reize der Frauen erst erwacht, strotzt ihre Verführungskraft dem Betrachter entgegen: „So weit die Strümpfe tragen“, „The wild one“ und eine „Studie zu Blümchensex“ sind keinesfalls mehr nett gemeint.
Es macht Lust sich der Durchdringung von dekorativen Mustern, von farbigen Verwischungen und Verläufen und der akkuraten Darstellung zu überlassen. Es gibt gleichermaßen eine drängende Substanz an Material, an malerischer Delikatesse und die raffinierte Ausführung der Erzählung. Es gibt rätselhaft verschwommene Hintergründe und famos groteske Vordergründe. Niemals aber ganz eindeutige Schilderungen. Behutsam und einfühlend, so wird in traumwandlerischer Sicherheit ironisch gespielt und die Ambivalenz gesellschaftlicher Rollen beschworen. Geschichten vom Großem im Kleinen und dem Kleinen im Großen. Durch die Staffage des Grotesken wird bei allem Schalk ein Schlaglicht geworfen auf die fortwährende Selbstüberschätzung, auf die abgrundtiefe Unzulänglichkeit vor den eigenen Idealen, auf die Neigungen zu Kitsch und Falsch unserer Selbstdarstellung, zu Gewalt und Bösartigkeit - wie „Schlagfertig“, „Schützenkönig“ und „Wo du am liebsten nicht sein möchtest“ auch offen zugeben. Unser hämisches Lachen bleibt uns im Halse stecken.
Es sind gar keine kleinen possierlichen Kabinettstückchen. Der Ulk ist eigentlich Stoff für eine Divina Commedia in der Hölle des Sozialen. Und ich spüre, war ich doch schon fixiert auf den plumpen Witz über die anderen, ein Grinsen hinter den Geschichten. Die Macher der Geschichten grinsen mich an. So ist das Leben, mein Freund, immer so Fifty-Fifty, weißt ja, und guten Morgen! Und ich dachte, ich hätte das nur geträumt. Was solls, rufen sie mir zu, das Leben ist trotzdem gut und irgendwie ja doch auch lustig.
Florian Pelka (Maler/Berlin)
Geht nicht gibts nicht
Die Bilder von Annette Reichardt und Stewens Ragone sind keine schüchternen Mauerblümchen, die man dekorativ zwischen Hutablage und Kleiderbügel hängt. Diese Werke wollen Platz, sie sind selbstbewusste Kraftprotze, die mal polternd, mal schmeichelnd, auch mal zurückhaltend, aber fast immer mit Humor, Spaß und Leidenschaft daherkommen, die klar ansagen: »Schau her, ich bin ein Stück Kunst, ich werde Deine Sichtweise verändern«.
Es treffen Dimensionen aufeinander, Raum, Zeit, soziale Aspekte und historische Bezüge. Die Arbeiten sind genauso konkret wie abstrakt, sie scheren sich einen Dreck um Konventionen und erlernte Sichtweisen, sie lassen ein Paralleluniversum entstehen. Motiv und Hintergrund sind zwei autonome Welten, gemeinsam ergeben sie eine neue dritte. Dies gibt uns als Betrachter immer etwas Konkretes, aber gleichzeitig auch Subtiles, das sich in unser Unterbewusstsein schleicht. Was wir daraus machen, ist uns überlassen.
Steffen Simon, Sportjournalist
Text aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung
»Die Welt ist schön« von Dorothea Fogt
Bilder von 2010-2012
Bilder von 2007-2009
Grafik von 2008-2018
Projekt fifty / fifty
Wie funktioniert das, zusammen zu malen?
Mixen Annette Reichardt und Stewens Ragone Motive, Techniken und Farben wie einen Drink, bei dem man eine Hälfte von diesem und die andere Hälfte von jenem in einen Shaker gibt, gut schüttelt und in ein Cocktailglas abseiht? Sie malt den Kopf, das T-Shirt gestaltet er, das Auto ebenfalls, weil er eben besser Autos malen kann? Oder kommen Idee und Skizze von ihr und er darf ausmalen?
Zusammen zu malen stelle ich mir jedenfalls als große Chance und gleichzeitig als Wagnis vor. Auf jeden Fall spannend. Da müssen zwei ähnlich ticken, sich verstehen und doch müssen sie beide ihren eigenen Kopf haben, unterschiedlich sein. So entsteht eben keine Symbiose, sondern Inspiration. Von der Idee über die Skizze, über die Komposition, bis zur Ausführung – es gibt keine festen Rollen, die Arbeitsteilung besteht vielmehr darin, dass jeder sich an unterschiedlichen Stationen des Malprozesses einbringt. Und das funktioniert in jedem Bild anders. Dadurch kommen Ideen, Vorstellungen zusammen und bringen etwas Anderes als das Eigene, etwas Neues hervor. Eins und Eins muss mehr sein als zwei, es muss ein Ganzes ergeben. Und das tun die Arbeiten von Reichardt und Ragone. Die Künstler sorgen so dafür, dass der Betrachter immer etwas geboten bekommt.
Dass die beiden beim Malen auch noch ihren Spaß haben, kann man sich gut vorstellen. »Fifty Fifty« heißt ein Song des von Stewens Ragone in seinen Bildern immer wieder gern zitierten Musikers Frank Zappa. Der hatte sicherlich ebenfalls Spaß an seiner eigenen Musik. Im bildlichen Sinne rockt auch die Malerei von Stewens Ragone und Annette Reichardt. Ihre Kompositionen stecken voller unterschiedlicher Instrumente, gespielt in einem Malstück reichhaltig an Farben und Formen. So wie in Zappas jazz-rockigen Songs Tina Turner zuweilen als Hintergrundsängerin auftritt, Violinsoli mit kreischender E-Gitarre kombiniert sind, präsentieren auch Annette und Stewens mit ihren aus den Kontexten isolierten, ganz gewöhnlichen Figuren vor schrägen Hintergründen ihre Neigung zum Experimentieren. Bisweilen ist gar nicht klar, was hier im Vordergrund steht – Figur oder Hintergrund? Sie stellen Querverweise her, ohne den roten Faden zu verlieren. Im Gegenteil. Dadurch werden die Inhalte zuweilen bissig ironisch gesteigert.
Aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung »Die Welt ist schön« von Dorothea Fogt